Hochwasser hat viele Gesichter. Für die Menschen in Marl und Haltern-Lippramsdorf bedeutet es seit Jahren Unsicherheit: Straßen unter Wasser, Felder überflutet, Pumpwerke am Limit. Verstärkt durch bergbaubedingte Absenkungen ist die Lippe hier besonders riskant geworden. Gleichzeitig steigen die Prognosen für Extremwetter durch den Klimawandel.
Mit dem Projekt HaLiMa reagiert Nordrhein-Westfalen auf diese Herausforderungen. Auf einer Länge von 5,6 Kilometern entstehen neue Deiche, während alte zurückgebaut werden. Damit entsteht ein zusätzlicher Retentionsraum von 60 Hektar, in dem das Wasser künftig kontrolliert ausweichen darf. Rund 95 Millionen Euro investieren das Land NRW und die RAG, um Anwohner zu schützen und der Natur eine neue Auenlandschaft zu schenken. Die Fertigstellung ist für Ende 2027 geplant.
Infobox: Das Wichtigste in Kürze
- HaLiMa = Hochwasserschutzprojekt zwischen Marl und Haltern-Lippramsdorf
- 5,6 km neue Deiche, Rückverlegung statt reiner Erhöhung
- 60 Hektar Auenflächen als Retentionsraum und Lebensraum
- Kosten: ca. 95 Mio. €, getragen von Land NRW (1/3) und RAG (2/3)
- Fertigstellung: Ende 2027 (Stand Sept. 2025)
Inhaltsverzeichnis
- Die Ausgangslage – warum Handlungsdruck bestand
- Das Projekt HaLiMa im Überblick
- Technische und ökologische Maßnahmen
- Chancen und Nutzen für Mensch und Natur
- Herausforderungen und Kritikpunkte
- Ausblick und Fazit
Die Ausgangslage – warum Handlungsdruck bestand
Die Lippe prägt seit Jahrhunderten die Landschaft zwischen Marl und Haltern. Doch was lange als idyllischer Fluss galt, ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zum Risiko geworden. Bergsenkungen durch den Steinkohlenabbau ließen das Gelände absacken. Dadurch vertiefte sich das Flussbett, die Strömung wurde schneller, und die Gefahr der Erosion nahm zu. Alte Deiche konnten diese neuen Belastungen nur noch begrenzt auffangen.
Zudem verändert der Klimawandel die Hochwasserdynamik. Statistiken des Landes NRW zeigen, dass extreme Niederschläge häufiger werden. Bereits kleinere Ereignisse führten in der Region dazu, dass Pumpwerke im Dauerbetrieb liefen oder Straßen zeitweise unpassierbar waren. Für die rund 30.000 Menschen in den betroffenen Stadtteilen war klar: Der Schutz reichte nicht mehr aus.
Das Projekt HaLiMa im Überblick
Der Name „HaLiMa“ setzt sich aus den Ortsnamen Haltern-Lippramsdorf und Marl zusammen – eine sprachliche Klammer, die das gemeinsame Anliegen unterstreicht.
Das Projekt umfasst mehrere Bauabschnitte. Im nördlichen Bereich wurden die neuen Deiche bereits fertiggestellt, die alten Altdeiche sind weitgehend zurückgebaut. Seit 2025 läuft der südliche Abschnitt, bei dem ein weiterer Deich auf etwa 500 Metern Länge entsteht. Erst danach können die Arbeiten an den letzten Auenflächen abgeschlossen werden.
Der Zeitplan ist ambitioniert: Ende 2027 soll alles fertig sein. Ob dieses Ziel gehalten wird, hängt unter anderem von Wetterbedingungen und Baufortschritten ab – Verzögerungen sind bei Großprojekten nicht auszuschließen, die offizielle Planung geht jedoch von diesem Termin aus.
Die Finanzierung ist klar geregelt: Zwei Drittel der Kosten übernimmt die RAG, die als Nachfolger des Steinkohlenbergbaus für die Folgen von Bergsenkungen haftet. Ein Drittel trägt das Land NRW. Bauherr ist der Lippeverband (EGLV), unterstützt durch das Umweltministerium und die Städte Marl und Haltern.
Technische und ökologische Maßnahmen
Deichrückverlegung
Statt die bestehenden Deiche einfach zu erhöhen, werden neue Dämme weiter ins Landesinnere verlegt. Das schafft Platz, damit die Lippe bei Hochwasser kontrolliert über die Ufer treten kann.
Leserfrage: Warum verlegt man Deiche, anstatt sie zu erhöhen?
Eine Deicherhöhung verstärkt nur den Druck auf das Flussbett. Wird der Fluss dagegen seitlich erweitert, verteilt sich das Wasser besser. Gleichzeitig entstehen neue Auenflächen, die als natürliche Speicher wirken. (→ Glossar: Deichrückverlegung)
Neue Retentionsräume
Durch die Rückverlegung entstehen 60 Hektar zusätzlicher Retentionsraum – etwa 80 Fußballfelder. Diese Flächen sind nicht bebaubar, sondern dienen gezielt dazu, Hochwasser aufzunehmen. Gleichzeitig entwickeln sie sich zu ökologisch wertvollen Auenlandschaften, in denen Arten wie der Eisvogel oder verschiedene Amphibien neue Lebensräume finden. (→ Glossar: Retentionsraum)
Anhebung der Flusssohle
Ein ungewöhnlicher Eingriff ist die geplante Anhebung der Lippesohle um rund fünf Meter.
Leserfrage: Warum hebt man einen Fluss an?
Die Absenkung des Bodens durch den Bergbau hat das Flussbett unnatürlich tief gezogen. Ohne Korrektur würde die Strömung immer stärker Material ausspülen – mit der Gefahr, dass Ufer und Deiche instabil werden. Mit der Sohlanhebung wird die Lippe wieder in eine stabile Lage gebracht, die Strömung verlangsamt und Erosion gebremst.
Pumpwerke
Die Pumpwerke sind ein stilles Rückgrat des Hochwasserschutzes. Das alte Pumpwerk Bramkamp wird außer Betrieb genommen, während am Bonenkamp ein modernes Ersatzwerk entsteht. So bleibt auch bei Hochwasser gewährleistet, dass tieferliegende Flächen entwässert werden können.
Chancen und Nutzen für Mensch und Natur
Für die Anwohner bedeutet HaLiMa vor allem Sicherheit. Die neuen Deiche sind darauf ausgelegt, einem HQ250-Ereignis standzuhalten. Das bedeutet: Sie sollen ein Hochwasser abwehren können, das statistisch einmal in 250 Jahren auftritt.
Leserfrage: Heißt HQ250, dass 250 Jahre kein Hochwasser droht?
Nein. Es handelt sich um eine Wahrscheinlichkeit, nicht um eine Garantie. Zwei Extremhochwasser könnten auch in kurzem Abstand auftreten. (→ Glossar: HQ-Werte)
Für die Natur ist HaLiMa ebenfalls ein Gewinn. Die neuen Auenflächen entwickeln sich zu ökologischen Trittsteinen, die Artenvielfalt fördern. Schon während der ersten Bauphase wurden Rückkehrer wie der Eisvogel beobachtet. Auch Wanderer und Radfahrer profitieren: Neue Wege und Aussichtspunkte machen die Landschaft erlebbar.
Herausforderungen und Kritikpunkte
Trotz aller Vorteile bringt das Projekt auch Belastungen mit sich. Während der Bauphasen beeinträchtigen LKW-Verkehr, Straßensperrungen und Lärm den Alltag vieler Anwohner. Um Akzeptanz zu schaffen, bietet der Lippeverband Bürgersprechstunden an, in denen Fragen beantwortet und Sorgen aufgenommen werden.
Ein weiterer Punkt ist die Grenze des Schutzniveaus. Auch wenn die neuen Deiche robust sind – absolute Sicherheit gibt es nicht. Fachleute warnen vor falschen Erwartungen: HaLiMa verringert das Risiko deutlich, schließt es aber nicht aus.
Unklar bleibt außerdem, ob der Zeitplan bis 2027 eingehalten werden kann. Bislang halten die Verantwortlichen an diesem Ziel fest, doch unvorhersehbare Faktoren wie Hochwasser während der Bauzeit oder Lieferengpässe könnten Verzögerungen verursachen.
Ausblick und Fazit
Mit dem Start des südlichen Abschnitts im Jahr 2025 ist HaLiMa auf der Zielgeraden. Wenn alles nach Plan läuft, wird das Projekt Ende 2027 abgeschlossen sein – und die Region zwischen Marl und Haltern verfügt über ein modernes Schutzsystem, das Technik und Natur vereint.
Doch HaLiMa ist mehr als ein Bauvorhaben. Es ist ein Modellprojekt für Klimaanpassung: Es zeigt, wie lokaler Hochwasserschutz Teil einer globalen Antwort auf den Klimawandel sein kann. Indem der Fluss mehr Raum erhält, gewinnen sowohl die Menschen vor Ort als auch die Natur.
Wer an Flüssen oder Bächen lebt, sollte sich über lokale Hochwasserschutzmaßnahmen informieren – viele Kommunen bieten Warn-Apps oder Hochwasserkarten an.